72 Stunden ohne Kompromiss
Die Gruppe Kremstal beteiligte sich an der größten Sozialaktion Österreichs, einem Projekt der Katholischen Jugend.
Am Donnerstag, dem 21. Oktober nachmittags starten 7 Pfadfinder/innen aus dem Kremstal 5 Explorer, ein Rover und eine Leiterin in ein spannendes Projekt. Sie beteiligen sich an der Aktion "72 Stunden ohne Kompromiss". Was einen so viel sagenden Namen hat, entpuppt sich auch sehr schnell als echte Herausforderung. Nach einem gemeinsamen Start (fast) aller oberösterreichischen Projektgruppen in Linz, werden wir mit 2 PKWs nach Engelhartszell gebracht. Dort lassen wir unser persönliches Gepäck im Stift, wo wir auch untergebracht werden, zurück und fahren 6 km weiter bergauf nach St. Ägidi zum Pamingerhof, einer Einrichtung der Caritas.
Hier leben in einem ehemaligen, adaptierten Bauernhof 18 Menschen mit unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen. Zwischen 18 und 65 Jahre alt sind die Klienten, Frauen und Männer. Beim Abendessen lernen wir uns kennen, ein erstes Abtasten - wer und wie sind die jeweils Anderen? Schon am ersten Abend sammeln wir gemeinsam Ideen, wie ein "Fest der Begegnung - ein buntes Treiben" aussehen könnte. Was wünschen sich die Bewohner des Pamingerhofes, was können sich die Betreuer vorstellen, was ist für uns machbar? Ein großes Herbstfest ist das Ziel.
Einige Bewohner möchten sich einbringen. Beim Kaffee servieren, Tische schleppen, Musik machen. Wir kommen überein, dass das Programm schon am Samstag nachmittag beginnt. Dann haben wir 1,5 Tage Zeit, alles auf die Beine zu stellen. Alles muss von 0 weg organisiert werden. Freitag Vormittag zaubert Max innerhalb einer Stunde eine Einladung auf den Desktop eines Computers am Hof. Wir verschicken die Einladung per E-Mail an alle umliegenden Caritaseinrichtungen. Thomas, der Leiter des Pamingerhofs ruft noch überall nach – wir laden alle herzlich ein. Die Einladung wird als Plakat ausgedruckt und in Form kleiner Flyer. Wir rechnen mit dem Besuch von 50 Gästen - oder mehr?
Zum Start in den Nachmittag veranstalten wir ein Wuzzelturnier, dann ein Würstelessen und kleine Workshops, ein Livekonzert, eine Cocktailbar, Tanz. 4 Wuzzeltische werden gebraucht - Christian, ein Mitarbeiter des Pamingerhofes hilft uns bei allen Transporten. Auch sonst ist er als Orts- und Umständekundiger eine große Hilfe für uns. Wir überlegen, wie Essen, Getränke und die Raumdekoration organisiert werden können. Der Koch der Hausküche im Stift, wo das Fest stattfinden soll, ist unerwartet kooperativ. Er unterstützt uns wohlwollend - alles wird machbar sein, Barbara bekommt eine Einweihung in die Geheimnisse von Gerätschaften, Codes und automatischer Abschaltungen … sie verspricht größtmögliche Achtsamkeit. Ansonsten machen wir uns ohne jedes Budget an die Arbeit.
Einkaufs- und Organisationslisten werden erstellt. Valentin und Flo übernehmen die Koordination des Wuzzelturniers. Adam und Moriz beginnen in gemeinsamer Probenarbeit mit Klienten einen musikalisches Highlight für das Fest zu erarbeiten. Einfach zu spielende Nummern werden im Internet gesucht - ein Probeplatz wird gefunden. Nach der erfolgreichen "Organisation" der Zutaten für mehrere Kuchen beginnt das Backen in der Küche des Hofes. Das Lagerhaus stiftet uns einen Großteil der benötigten Getränke - wir sind ermutigt und wagen uns an Größeres! Mit einer Einkaufsliste stehen wir nach 5 Telefonaten und dem Einholen verschiedener Einverständnis-Erklärungen vor dem Sparmarkt in Neukirchen. Wir bitten die Kunden vor dem Eingang, uns je eine (oder mehrere) Kleinigkeiten von unserer Liste aus dem Geschäft mitzubringen. Das ist mühsam, wir können unseren Text schnell auswendig, und doch sind nicht alle Kunden mit offenen Ohren und hilfsbereitem Geist ausgestattet. Manche sind froh, sich im Gedränge an uns vorbeidrücken zu können. Wir bedrängen niemanden und es ist gut, dass wir auch auf viele offene, neugierige und hilfsbereite Menschen treffen. Wir merken, dass die Medienpräsenz der Aktion schon das ihre zum Gelingen beiträgt. "72 Stunden - hab ich schon gehört - heute in den Mittagsnachrichten …" Emanuel und Flo haben nach 2 Stunden Stehen und Werben einen gut gefüllten Einkaufswagen – wir sind steifgefroren, aber wir haben fast alles (!) was wir brauchen.
Am Abend Inventur - was fehlt uns noch – ein paar Details. Alkoholfreies Bier für das Würstelessen nach dem Turnier! Darauf sind wir extra hingewiesen worden - das geht uns noch ab. Samstag Vormittag ist die letzte Gelegenheit. Die Hoffnung es sei ein Leichtes nach dem Erfolg vom Freitag den Rest noch in Engelhartszell zu bekommen wird herb enttäuscht. Der Marktleiter des örtlichen Geschäftes erklärt uns, warum er sich nicht wohl fühlt dabei, wenn wir seine KundInnen vor dem Geschäft ansprechen. Wir verstehen, was seine Sorge ist, aber das hilft uns nix. Ohne Auto sind wir aufgeschmissen – mitten in Oberösterreich und doch ganz weit weg von allem. Letzte Rettung: Die Ö3 Notfall-Hotline. Nach 10 Minuten ein ernüchternder Rückruf. Unser Problem ist zu klein um über den Äther in die Hörerschaft transportiert zu werden. Andere Projekte brauchen noch einen Bagger oder 2 Paletten Ziegel – wir 2 Kisten alkoholfreies Bier …
Zwei Wirte in St. Ägidi retten uns! Der Kirchen- und der Kellerwirt spenden je eine Kiste. Alles wird gut, die Nervosität steigt trotzdem. Die Dekoration wird fertig gestellt, Wegweiser werden angebracht. Vor dem Mittagessen proben die MusikerInnen für ihren Live-Act. Wir haben 4 GitarristInnen und einen Schlagzeuger – Heinz. Ines wird singen. Grün, grün grün sind alle meine Kleider, 99 Luftballons, Marmor, Stein und Eisen bricht. Moriz ist leicht verzweifelt. Wir machen ihm Mut - Sie werden eine besondere Band sein. Max testet seine Cocktails – die Zutatenliste stimmt fast und er improvisiert die Mischungen. Alles ohne Alkohol :-)
Alle Jobs werden kurz vor dem Start noch einmal durch besprochen. Wir haben einen Kaffee- und einen Kuchenchef. Die Workshops für Jonglieren, Trommeln, Gitarrespielen sind so gut wie vorbereitet … Der Spielplan für das Turnier steht – die Turnierleiter Corporate-Design-mäßig adjustiert. Die ersten Gäste sind schon eine Stunde früher da und wollen Kaffee und Kuchen. Das bringt uns nur fast nicht aus der Ruhe. Thomas und Barbara eröffnen etwas später als geplant. Die Nennfrist für Mannschaften, die sich zum Wuzzelturnier eintragen möchten verlängert sich mehrfach. Staus zwischen Wuzzeltischen und Rollstühlen machen den Saal kleiner als wir gefürchtet hatten. Die Gäste aber fühlen sich wohl. Valentin produziert im Akkord Kaffee, alle wollen ihm zusehen - er nimmt´s gelassen.
Kuchenstücke werden auf Teller balanciert, wir transportieren Geschirr ab und an, betreuen die Gäste suchen die Wuzzel-Mannschaften, Emanuel hat alles zwischen den Jobs im Griff. Fast locker geht uns alles von der Hand. Viele Hände helfen mit. Aufregung um die noch nicht ganz fertiggestellten Pokale für die Turniersieger kommt kurz auf. Die Pokale bestehen aus zusammengeklebten Pet-Flaschen, überzogen mit Alufolie. Schilder für die ersten 3 Plätze werden aufgeklebt, wir suchen die 3 besten Kekspackungen als Draufgabe aus. In die Pokale legen wir je 2 "72h"-Buttons als Erinnerungsmedaillen.
Das Turnier schreitet fort, Runde um Runde. Alle Sieger steigen auf. Nach 3 Runden schließlich das Finale. Das Publikum ist rasant kleiner geworden. Plötzlich ist nur mehr ein Drittel der Gäste übrig. Siegerehrung mit viel Applaus - die Workshops fallen mangels Publikumsinteresse Großteils aus. Wir beeilen uns, die Würstel auf den Tisch zu bringen. Kurz wird uns heiß, das mit dem Koch der Hausküche vereinbarte Brot ist nicht da, dann taucht es doch in den "Untiefen" des riesigen , verzweigen Küchenlabyrintes auf.
Bis auf wenige Ausnahmen sind nur mehr die Bewohner des Pamingerhofes und einige Betreuer da. Wir trösten uns damit, dass ja SIE unsere Partner auf diesem Fest sind - für sie soll es toll sein! Es ist ein Kommen und Gehen - die Stimmung kippt gerade noch nicht … Das Highlight, der Live-Act steht auch noch bevor. Nach entsprechender Ansage startet die Band ihr Programm. Moriz und Adam lenken die Stücke geschickt - es ist Musik. Christian und Ines sind hochkonzentriert, Heinz rockt am Schlagzeug das Engelszimmer - alle sind begeistert! Der Abend klingt mit der Eröffnung von Max´Bar aus – die Gäste stellen sich gerne um seine Cocktails an. Er hat 10 x so viel Eiswürfel …
Es wird getanzt, obwohl das Raumlicht nicht so recht romantisch werden will - das Engelzimmer erlebt zaghafte und wilde Moves zugleich und unser Fest geht nett zu Ende, die Gäste sind müde. Der große Geschirrspüler und der Transportlift sind ab 20.00 Uhr gesperrt. Wir nehmen den Wettlauf gegen die Zeit auf. Zumindest das Geschirr wollen wir noch heute versorgen. Es gelingt uns und wir ziehen uns mit Keks-, Chips- und Gertränkeresten in unser Matratzengemach zurück.
Wir resümieren, feiern noch ein wenig, verhindern das Einschalten des Fernsehers, duschen nicht alle und schlafen noch lange nicht. Der Sonntag bleibt uns zum Aufräumen. Wir treffen schon beim Frühstück Festgäste von gestern. Sie erzählen begeistert. Alle Spuren beseitigen, am späten Vormittag werden die 72 Stunden schon lang. Wir sind aber doch souverän im Putzen - das Engelzimmer wischen wir 3 Mal auf - jedes Mal mit anderen Schwerpunktzonen.
Beim Mittagessen, nach dem Putzfinale, treffen wir Sigi, den Sieger des Wuzzelturnieres. Er lädt uns ein, zu seinem Geburtstag im November wieder zu kommen. Mit 23 hatte er einen Mopedunfall, jetzt wird er 60 Jahre alt. Seit zweieinhalb Jahren lebt er im Stift. Seine Traumfrau ist Pamela Anderson.
Alle Fest-Reste, viel mehr als wir verbraucht haben, tragen wir zu Thomas Auto. Er bringt sie zum Pamingerhof. Zum Abschied schenkt er uns von den Klienten erzeugte Schlüsselanhänger, kleine Kraken mit Perlententakeln und Lederbänder mit einem faszinierend einfachen Verschlussystem. Er wartet mit uns, bis uns unsere Shuttle-Taxis abholen. Wir haben es geschafft und fahren nach Puchberg. Dort steigt nach einem gemeinsamen Gottesdienst ein 7,2 Stunden lang dauerndes Danke-Fest für alle Jugendlichen, die in über 40 Projekten in ganz Oberösterreich gearbeitet haben. Sie sind Teil der 5.000 Jugendlichen, die sich innerhalb von 72 Stunden in ganz Österreich engagiert und die Welt ein wenig besser verlassen haben, als sie sie vorgefunden haben (© Baden Powell). Ungeheuer beeindruckend!
Emanuel, Valentin, Florian, Max, Adam, Moriz, Barbara
Pfadfindergruppe Kremstal